"Vier Bronckhorst für ein Owomoyela" - Panini-Bilder tauschen


"Eigentlich wollte ich das gar nicht machen", sagt Sebastian Hoppstedt als wir im Frühlingsregen um die zerbröselnde Mauerecke biegen und den Schulhof erreichen. Auf dem Nachmittags-Stundenplan der 5.-Klässler steht Jazz-AG, aber heute geht es um Höheres. In Detmold ist es schwierig, einen guten Tauschpartner für Panini-Bildchen zu finden, vor allem dann, wenn man erst seit kurzem dort wohnt. Sebastian ist Referendar, und wenn er tauschen will, dann ruft er seinen Freund Hauke in Herford an. Nette Nachmittage ohne große Erfolge, aber in der Schule schlummert ungeheures Potential: Die Jazz-AG scheint besonders infiziert, da sammeln alle Jungs, und sogar zwei der drei Mädchen. Trotzdem eigenartig, die Schüler zu fragen.

Der werdende Lehrer rechnet mir noch einmal die Mindestkosten vor: 596 Bilder insgesamt, in jedem Tütchen 5 Bilder, jede Tüte 50 Cent. Macht mindestens 59 Euro 60, aber natürlich nur dann, wenn keine Doppelten dabei sind, und Doppelte sind immer dabei. Vor allem Holländer. Sebastian fängt auf dem Hof ein wenig an zu schlendern, bevor wir im nassrotglänzenden Backsteinbau verschwinden. Kurz nach drei, die Kinder warten schon. Sie wissen Bescheid, Schlagzeug, Bass und Saxophon stehen verbannt in einer Ecke hinter der Tafel. "Herr Hoppstedt!", grinsen elf Gesichter Richtung Tür. Sebastian pellt sich aus seiner klammen Jacke und zieht eine durchsichtige Plastiktüte aus der linken Tasche. Ein Stapel so hoch wie der Tafelschwamm. "Und kommt mir nicht mit Holländern", begrüßt er seine Meute, die jetzt ebenfalls nach den Bildern kramt.

Manchmal fängt man als Kind an, etwas zu tun, und liebt es noch bis heute. Fahrradfahren, Ballspielen, Aufkleber aufkleben. Sebastian setzt sich mitten in den Pulk und ist kaum noch von den Schülern zu unterscheiden. Drogba und Acuna gegen Fonseca, Leipzig für Köln, Ronaldinho für Goleo. Glitzersticker gegen Normal geht 1 zu 4. Fußball ist nur noch ein grobmaschiges Grundgerüst, das hier ist die Welt der Wirtschaft und des Handels, der Menschenkenntnis und der Manipulation. Sebastian fehlt nur noch ein Spieler, um die Deutsche Mannschaftsseite komplett zu haben. "Vier van Bronckhorst für Owomoyela?" fragt er mit einem verzweifelten Unterton in die Runde. Ein unmoralisches Angebot, niemand will Bronckhorste haben. Ein etwas pummeliger Junge zieht triumphierend einen Aufkleber aus seinem Haufen. "Owomoyela! Aber geb mir Kuranyi dafür." - "Na gut, Kevin, aber nur weil du es bist." Der Austausch der Fußballspieler geht im Gelächter der Klasse unter. Etwas hastig knibbelt Sebastian den Aufkleber ab, und klebt ihn dann doch vorsichtig in das Rechteck Nummer 24. "Ein schöner Anblick, so eine komplette Seite, auch wenn der Typ gar nicht mitspielt." Die Albumseite von Sebastian sieht aber trotzdem so aus, als ob alles seine Richtigkeit hätte. Keine freien Felder mehr, alles ausgefüllt, komplette fein säuberlich eingeklebte Harmonie. Und auch Kuranyi-Kevin hat ein breites Grinsen im Gesicht, ihm fehlt nur noch das deutsche Teamfoto auf der Seite.

Die Verhandlungen waren kurz und ergiebig, bleibt doch noch etwas Platz für die Musik. Ein aufgekratzter Haufen zieht die Instrumente in den Raum. Sebastian verteilt Notenblätter und summt vergnügt etwas, das sich nach der Titelmelodie des aktuellen Sportstudios anhört. Ich sage den Zwölfen leise auf Wiedersehen und gehe über schimmernde Straßen zu einem Kiosk. Dort kaufe ich mein erstes Päckchen. Jean-Alain Boumsong? Kenn ich nicht. Aber vielleicht ist der ja selten.


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